»Der Klang wird transformiert und wiederhergestellt, aber auf eine nicht erkennbare Weise! Er wird wiedergeboren. Es ist eine immerwährende Wiedergeburt oder Reinkarnation. Es ist Leben. Und das geht immer weiter und weiter.« Dieses Zitat aus John Cages Buch For the Birds schwingt in den einzelnen Versionen von Chess Show mit, einer Komposition des Prager Opening Performance Orchestra.
Die Idee zu Chess Show entstand Mitte der 1990er Jahre, als das Stück unter dem Titel Cagemix nicht-öffentlich gespielt wurde. 1962 verwendete John Cage für seine Komposition Atlas Eclipticalis Sternkarten, die der tschechoslowakische Astronom Antonín Bečvář angefertigt hatte. Unser Ziel war es, an diese Arbeitsweise anzuknüpfen, aber dabei eine echte Schachpartie zu verwenden. Später wurde Chess Show fünfmal live aufgeführt, zweimal in einer gekürzten Version. Die erste Chess-Show-Aufführung fand 2007 in Telč statt. Anlässlich des hundertsten Geburtstages von John Cage im Jahr 2012 wurde Chess Show in der Ausstellung Membra Disjecta for John Cage in der DOX-Galerie in Prag und in der Galerie der Schönen Künste in Ostrava in einer elektronischen Version für vier Laptops und ein Video gespielt. Die letzte Live-Aufführung von Chess Show fand 2017 im Rahmen des Festivals für zeitgenössische Musik Ostrava Days statt, mit Reinhold Friedl als Solist. Die andere Version von Chess Show entstand im Studio – Chess Show [4’34” version], in Zusammenarbeit mit Miroslav Beinhauer, einem tschechischen Klaviervirtuosen.
»Mag Maestro denn keine Musik?«, fragte der pikierte Pianist, der neben ihrem Tisch im riesigen, leeren Hotelrestaurant stand. »Nein, nein, mag ich nicht«, lehnte John Cage ab (aus Sean Bronzells Essay Überschneidende Vermächtnisse: Cage, Schach, Musik (so, wie wir sie benutzen), 2021).
Und Richard Kostelanetz ergänzt: »Auf S. 218 von Camps Unfamiliar Quotations from 2000 B. C. to the Present steht ›Einer der schönsten Klänge von allen … ist die völlige Stille‹, ein Zitat, das meinem Onkel Andre K. zugeschrieben wird, und zwar aus dem New York Journal-American, einer vergessenen Zeitung, vom 8. Februar 1955; von dem ich vorher nichts wusste, obwohl es Andre war, der mir um 1963 herum meine ersten Cage-Schallplatten schenkte.«
Opening Performance Orchestra, Prag, September 2021
CHESS SHOW (aus dem Programmheft der Ostrava Days 2017)
Dieses 64-minütige Stück verwendet als Klangmaterial Fragmente aus Werken von Cage, die nach dem Zufallsprinzip geordnet und kombiniert werden. Zeitgleich mit Chess Show wird Reinhold Friedl Cages Song Books aufführen. Nach Art eines Quodlibets wird die strenge Struktur von Chess Show mit einer unvorhersehbaren Auswahl anderer Werke konfrontiert: verschiedene Klavierparts aus den Number Pieces, eine ungeordnete Selektion aus den Song Books, vielleicht sogar die Suite for Toy Piano und Saties Vexations.
Chess Show beinhaltet neben der musikalischen auch eine visuelle Komponente. Die beiden Elemente sind unabhängig voneinander und teilen lediglich eine 64-minütige Zeitstruktur, die in sechzehn vierminütige Abschnitte aufgeteilt wird; die Gesamtdauer entspricht den 64 Feldern des Schachbretts und den 64 Hexagrammen des I Ging. In einzelnen Abschnitten werden die Musik und die Samples sowie ihre Dauern, Anfangs- und Endpunkte von Zufallsverfahren nach den Richtlinien des I Ging bestimmt. Wichtige Prozesse wurden zuvor mit Schafgarbenstengeln bestimmt, während andere Parameter, etwa die Zeitklammern, von einem Zufallsgenerator bestimmt werden.
Die visuelle Komponente von Chess Show beruht auf der Aufzeichnung eines Spiels aus dem Jahr 1970 zwischen den Schachmeistern Robert Fischer und Wassili Smyslow (Bird-Eröffnung). Wir sehen ein herkömmliches Schwarzweiß-Schachbrett, und statt Schachfiguren gibt es eine Schicht aus 22 Schwarzweißfotos mit John-Cage-Motiven. Jeder Zug aktiviert verschiedene Felder und offenbart die Bilder darunter. Die Reihenfolge der Züge ist zum Teil zufällig. Abgesehen von der zeitlichen Koordination ist die visuelle Ebene unabhängig von der klanglichen. In 64 Minuten kommen 128 Bilder unterschiedlich lange (nach zufallsgenerierten Zeitklammern) zum Vorschein, welche die unterschiedliche Bedenkzeit für die einzelnen Schachzüge widerspiegeln. Im Laufe des Spiels weichen die anfänglich klaren visuellen Veränderungen, die sich auf einzelne Züge beziehen, allmählich wiederkehrenden Störungen und umfassenden Veränderungen.